Scheitern als Lehrmeister: Mein großes “Gastro-Fuck-up” und was es mich lehrte
Aufgewachsen in einer Gastro-Dynastie
Mein Vater zählte einst zu den größten Gastronomen in West-Berlin, mein Großvater, der legendäre Barmbeker Hans, betrieb bekannte Ballhäuser in Hamburg. So wuchs ich praktisch in der Welt der Gastronomie auf. 2014 gründete ich zusammen mit mehreren Mitgesellschaftern aus dem Bereich Marketing und Entwicklung ein eigenes Technologie-Start-up, in dem ich jedoch der Hauptgesellschafter war. Unsere gemeinsame Vision: den Gastro-Sektor mit neuen Ideen zu bereichern und Prozesse zu vereinfachen.
Die zündende Idee: CMS „Capri“
Unsere erste große Idee war ein Content-Management-System für Gastronomen, das sich klar von den bestehenden, teils komplizierten Lösungen abheben sollte. Wir nannten es „Capri“, weil wir eine Urlaubsassoziation erzeugen wollten: leicht, unbeschwert und freundlich – genauso wie der Umgang mit unserem CMS.
Nachteil: Weil „Capri“ ein Destinationsname ist, war er nicht schützenswert in Bezug auf Marken- und Patentrechte. Außerdem stellte sich im Online-Marketing schnell heraus, dass ein so geläufiger Ortsname kaum von anderen Suchbegriffen abzugrenzen ist.
Nichtsdestotrotz gingen wir voller Elan ans Werk. Zu diesem Zeitpunkt waren unsere finanziellen Ressourcen noch weitgehend stabil, da das System selbst schlank und überschaubar blieb.
Die Übernahme von „Pregas“: Zwei Produkte entstehen
Während der Entwicklung von „Capri“ stießen wir auf das Branchen-Presseportal „Pregas“, das sich bereits einen Namen in der Gastro- und Hotellerie-Szene gemacht hatte. Wir kauften es kurzerhand vom damaligen Gründer und integrierten es in unsere Produktwelt. So hatten wir plötzlich zwei Ansätze:
CMS „Capri“ – ein leicht bedienbares System für Gastronomen.
Presseportal „Pregas“ – zur Veröffentlichung von News und Specials.
Was auf den ersten Blick vielversprechend klang, brachte uns organisatorisch an die Grenzen. Plötzlich verantworteten wir zwei unterschiedliche Produkte mit separaten Kundenbedürfnissen und mussten unsere eigenen Entwicklungs- und Marketingkapazitäten entsprechend aufsplitten.
Vermarktung freier Kapazitäten: Der Schritt zum Online-Reservierungssystem
Unser Blick ging weiter: „Was brauchen Gastronomen, um langfristig erfolgreich zu sein?“ Wir kamen schnell darauf, dass Online-Reservierungen im Kommen waren, jedoch noch in den Kinderschuhen steckten. Damals gab es OpenTable, Quandoo, Bookatable und resmio, aber sie waren längst nicht so verbreitet wie heute. Dennoch schon marktbeherrschend, wie sich später herausstellen sollte…
Darum entwickelten wir ein eigenes Online-Reservierungssystem, das wir direkt in „Capri“ integrierten. Von der Website-Pflege über Presseveröffentlichungen bis hin zur Tischreservierung – wir wollten, dass Gastronomen alles aus einer Hand bekommen konnten.
Die Geburt von „Table Dennis“: Eigene Reservierungsplattform
Da wir bei der Integration auf starke Kooperationspartner angewiesen waren, die jedoch nicht immer zur Verfügung standen, dachten wir: „Dann machen wir eben unsere eigene Reservierungs- und Vermarktungsplattform!“ So entstand „Table Dennis“, die Gastronomen und Gästen mehr Reichweite und Umsatz bieten sollte.
Unser Portfolio umfasste nun vier Bereiche:
CMS „Capri“
Presseportal „Pregas“
Online-Reservierungssystem (in „Capri“ integriert)
Reservierungs- und Vermarktungsplattform „Table Dennis“
Mit zunehmender Komplexität stieg allerdings auch der Kapitalbedarf. Während „Capri“ anfangs noch überschaubar finanziert werden konnte, fraßen die Entwicklung und Vermarktung von „Table Dennis“ immer mehr Kapital und somit auch meine persönlichen Reserven auf.
Der Markteintritt und das Konfliktfeld mit den Großen
Schließlich starteten wir eine große Aktion in Berlin, um „Table Dennis“ bekannt zu machen. Wir akquirierten über 1.000 Restaurants, denen wir kostenlose Zugänge anboten. Um die Gäste zur Tischreservierung über unsere Plattform zu motivieren, setzten wir zudem auf CineStar-Gutscheine als Anreiz.
Doch der Erfolg hielt nur kurz an. OpenTable und Bookatable drohten den Restaurants in ihren Verträgen mit Kündigungen, wenn sie gleichzeitig bei „Table Dennis“ gelistet waren. Diese Exklusivklauseln hielten wir für wettbewerbswidrig. Gemeinsam mit der Anwaltskanzlei Spirit Legal aus Leipzig reichten wir deshalb eine Beschwerde beim Bundeskartellamt ein.
Hinweis für Hoteliers: Booking.com und Expedia sind bekannte Beispiele für solche Vertragspraktiken. Die Verfahren, auch in Zusammenarbeit mit dem Hotelverband IHA, ziehen sich oft über Jahre – fast schon ironisch, denn selbst 10 Jahre später ist dieses Thema nicht vollständig abgeschlossen und sorgt nach wie vor für Diskussionen über Marktmacht und Exklusivverträge.
Uns teilte das Bundeskartellamt mit, dass ein sehr ähnlicher Fall im Zusammenhang mit Booking.com und Expedia bereits läuft und man erst ein Grundsatzurteil abwarten wolle. Das bedeutete für uns: jahrelange Unsicherheit und keine zeitnahe Lösung in Sicht.
Das persönliche „Fuck-up“: Ernüchternde Vertriebserfahrung
Obwohl unsere Plattform blockiert wurde und die Kosten stiegen, wollte ich selbst beweisen, dass unser Vertriebsansatz funktioniert. Gemeinsam mit meinem Vertriebsleiter besuchte ich ein Restaurant in Berlin und führte ein zwei Stunden langes Gespräch mit dem Inhaberpaar. Am Ende unterschrieb der Gastronom – für 59 Euro im Monat.
Mein Vertriebsleiter meinte nur:
„Bernd, soll das dein Ernst sein? Du hast erzählt, wer du bist, wer dein Vater und wer dein Großvater war. Klar vertraut dir dieses Ehepaar – aber das kann ich im Vertrieb niemals so reproduzieren. Außerdem kostet unser Produkt nur 59 Euro monatlich. Wie viele Stunden müssen wir investieren, bis wir unsere Ziele erreichen?“
In diesem Moment wurde mir klar, dass unser Vorhaben nicht skalierbar war. Aus der ursprünglichen einfachen Idee hatten wir ein Feature-Monster geschaffen, das schwer vermarktbar und enorm kostenintensiv war. Gleichzeitig warfen die großen Player wie OpenTable und Bookatable massenhaft Steine in unseren Weg.
Die Liquidation: Teures Ende und wertvolle Lektionen
Am Ende blieb mir nur noch eine Option: Ich liquidierte die Firma. Dabei verlor ich einen mittleren sechsstelligen Betrag aus meinem Privatvermögen. Das fühlte sich zunächst wie das absolute Scheitern an. Doch heute bin ich trotz allem dankbar für diese Erfahrung, denn ich habe entscheidende Erkenntnisse mitgenommen:
1. Fokus statt Feature-Overload
Wer versucht, zu viele Produkte oder Funktionen gleichzeitig zu entwickeln, verliert schnell den Blick für das Wesentliche. Lieber ein klar definiertes Kernprodukt aufbauen und dieses erfolgreich am Markt etablieren.
2. Kundenzentrierte Markenstrategie
Marketingentscheidungen sollten nicht nur dem eigenen Geschmack folgen, sondern vor allem für potenzielle Kunden verständlich sein. (Beispiel: Capri als Destinationsname war zwar eingängig, aber kaum zu schützen und sorgte für Unklarheiten.)
3. Go-to-Market-Strategie mit Prototyping
Bevor man großflächig launcht, sind Testläufe und frühes Kundenfeedback essenziell. Dadurch wird klar, ob das Produkt tatsächlich den Kundenbedarf trifft – und man kann rechtzeitig nachbessern, ohne hohe Kosten zu riskieren.
4. Vertrieb vs. Produktpreis
Ein günstiges Angebot erfordert eine skalierbare Vertriebsstrategie. Ein langer Sales Cycle (z. B. viele intensive Einzelgespräche) passt selten zu einem niedrigen Preis. Gerade bei B2B-Lösungen im niedrigen Preissegment ist die Frage „Wie gewinnen wir (viele) Kunden effizient?“ von größter Bedeutung.
5. Realistische Ressourcen- und Finanzplanung
Sobald sich ein Produkt ausweitet – etwa durch zusätzliche Features oder Plattformen – steigen Entwicklungskosten und Kapitalbedarf oft exponentiell. Eine ehrliche Einschätzung, wo die finanziellen Grenzen liegen, und ein strukturiertes Vorgehen (statt „Alles auf einmal“) sind entscheidend, um ein Projekt nachhaltig zu stemmen.
Fazit
Rückblickend war dieser heftige Rückschlag die Grundlage dafür, was ich heute mit MICE DESK erfolgreich realisiere. Ich habe gelernt, wie wichtig ein klarer Fokus, finanzielle Planung und ein schrittweises, validiertes Vorgehen sind. Ohne diesen „Fuck-up“ hätte ich vermutlich nicht die Sorgfalt und Weitsicht entwickelt, die ich heute an den Tag lege.
Meine Botschaft an alle (angehenden) Unternehmer: Verzettelt euch nicht in überambitionierten Plänen, testet euer Konzept gründlich, achtet auf den Fokus. Denn nicht jedes Scheitern bedeutet ein Ende – manchmal ist es nur der Anfang eurer nächsten, erfolgreicheren Schritte.
Mehr als zehn Jahre später sind die Fragen rund um Exklusivklauseln, Online-Vertrieb und Marktmacht nach wie vor ein heißes Thema – nicht nur in der Gastronomie, sondern auch in der Hotellerie. Verfahren mit Booking.com, Expedia und anderen Anbietern ziehen sich endlos. Was ich damals schmerzlich erfahren habe, ist heute immer noch aktuell. Wer innovativ sein will, muss mit Widerständen rechnen – und darauf vorbereitet sein, einen langen Atem zu haben.
In dem folgenden Video habe ich die Komplexität des damaligen Geschäftsmodells veranschaulicht. In der Mitte hört man sogar den Original Radiospot zu unserer Table Dennis Kampagne. Also Ton an! Wer die Stimme errät, erhält von mir ein VIP Ticket zur ITB MICE Night 2025 :-)